Die “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer sind selbst die Nazis, vor denen sie uns warnen

Die “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer sind selbst die Nazis, vor denen sie uns warnen

Eine Erweiterung des Schwab´schen „Nazi-Ermächtigungs“-Konters

von Thies Stahl, 07.06.20221 Als PDF

In der 104. Sitzung des Corona-Ausschuss am 13.05.2022 (ab 04:48:49) sprach Prof. Dr. Martin Schwab über den Angriff der taz gegen ihn. Die taz hätte ihn gefragt, nachdem er sich doch vom Rechtsextremismus distanziert hätte, wie das denn damit zusammenpassen würde, dass er auf Demos mitlaufen und auf Veranstaltung sprechen würde, in denen man auch Rechtsextreme sichten würde. Martin Schwab berichtet, er hätte der taz eine Antwort gegeben, die er als „Konter“ jedem empfehlen würde, der sich ein solches Pseudoargument anhören müsse. Dieser Konter würde „…die scheinheilige Verlogenheit selbsternannter Tugendwächter bis auf die Knochen (entlarven).“

So könnte man auf die in jeder coronalen Diskussion2 unvermeidlich zu erwartenden „Nazi-Nazi-Rechts-Rechts“-Anwürfe, wie z.B. „Warum gehst Du auf eine Demo, wo immer wieder Nazis und Rechte dabei sind!“ laut Schwab entgegnen:

„In dieser Logik reicht ein einziger Rechtsextremer in der gesamten Versammlung, um dieser Veranstaltung den Stempel der Illegitimität aufzudrücken. Wenn ich so denke, gebe ich Rechtsextremen eine unglaubliche Macht, die Macht, durch ihre bloße Präsenz über Legitimität oder Illegitimität einer Versammlung (oder Demo) einer politischen Veranstaltung zu entscheiden.“

„Wenn ihr meint, die sollten so eine Macht haben, dann müsst ihr selber überlegen, wie ihr eigentlich zum Thema Rechtsextremismus steht… Klärt euer Verhältnis zum Rechtsextremismus, wenn ihr den Rechtsextremen eine solche Macht gebt… Ich sage nicht, ihr seid selbst rechtsextrem, ich sage, ihr müsst euer Verhältnis klären, ihr müsst wissen, welche Macht ihr Rechtsextremen geben wollt, was die Deutungshoheit über so eine Veranstaltung anbelangt.“

Diese Entgegnung drängt die vom Sprecher explizit benannten Vordergrund-Aspekte, „Sich-Gemeinmachen mit Nazis“ und „Kontaktschuld“, in den Hintergrund, indem sie einen anderen Aspekt in den Vordergrund hebt, welcher zuvor nur implizit mitbenannt wurde – aber durch eine genaue Analyse der Aussagen expliziert werden kann.

Konter als Reframing

Das Vorgehen, eine solche linguistische Analyse dessen, was die Beschreibung jeweils per Präsupposition alles impliziert und deren Ergebnis dann dazu zu verwenden, dem Sprecher eine in Bezug auf die inhaltlichen Elemente seiner vorherigen Äußerung veränderte Aussage zu präsentieren, wird auch „Reframing“3 genannt. Es besteht darin, dem Sprechenden einen neuen Rahmen für die Wahrnehmung und die Bedeutungsgebung der von ihm zuvor mitgeteilten Gesamtsituation anzubieten, welcher aus einem Aspekt besteht, der auch schon vorher in dieser Gesamtsituation vorhanden war, aber vom Sprechenden nicht explizit mitbeschrieben wurde, der also dessen Beschreibung nur implizit war. Mit Gesamtsituation ist hier die szenische Konstellation gemeint, die aus dem beobachtenden und beschreibenden Sprecher und den von ihm Angesprochenen besteht, plus der von ihm beobachteten und beschriebenen, diese und auch alle anderen, vom Sprecher ebenfalls prinzipiell auch bewusst wahrnehmbaren, zu der beschriebenen umfassenden Gesamtszene dazugehörenden Menschen.

Seine Beobachtung und damit auch seine Beschreibung beruht natürlich, wie das immer und bei allen Menschen der Fall ist, auf einer selektiven Wahrnehmung. Sie ist also eine Beobachtung und Beschreibung aus einer bestimmten Perspektive, unter einem speziellen Aspekt. Beobachtet und beschrieben wird ja immer in einer je speziellen Hinsicht, d.h. im Vorzug eines jeweils speziell motivierten und ausgerichteten Hinsehens.

Ein neu angebotener, anderer Aspekt ist eine Einladung oder Verführung zu einem anderen, neuen Hinsehen auf etwas innerhalb der Gesamtszene potentiell auch Wahrnehmbares – entweder auf etwas, das man vorher schon gesehen hat und jetzt neu sieht, oder auf etwas, das man ganz neu in den Blick nimmt und auf das man sich dann neu fokussiert. Dieser vorgeschlagene Wechsel auf einen neuen Aspekt, dieser nahegelegte neue Wahrnehmungsfilter, diese neue angeregte spezielle Selektion des Wahrzunehmenden betrifft also immer etwas, das auch vorher in der Gesamtsituation schon da war, das aber vom Wahrnehmenden und Sprechenden nur nicht explizit mit angesprochen oder beschrieben wurde. Etwas, das der Beschreibung implizit blieb, was bedeutet, dass Bestandteile seiner Beschreibung per Präsupposition auf ein im Moment gerade wenig bewusstes, grundsätzlich aber unterhalb der Schwelle des Benennbaren vorhandenes (Mit-)Wissen des Sprechenden über Zusammenhänge, Elemente und Details innerhalb der betreffenden Gesamtsituation verweisen, also etwas, auf das er auch hätte fokussieren können, es aber (noch) nicht tat. Eine Präsupposition ist also etwas, das eher unbewusst mitwahrgenommen, mitgedacht und irgendwie auch mitgewusst wird, aber nur sprachlos und quasi zwischen den Zeilen mitgeteilt wird.

Die von Schwab angebotene Argumentationsfigur der Übertragung von Macht, der „Ermächtigung“, ersetzt in diesem Reframing die von den Sprechenden fokussierten, die Demonstranten betreffenden Aspekte „Sich-Gemeinmachen mit Nazis“ und „Kontaktschuld“ mit dem die Sprechenden selbst betreffenden Aspekt „Übergeben, Zuteilen und Überantworten von Macht“. Als neuer Rahmen verleiht dieser Aspektwechsel der „Nazi-Nazi-Rechts-Rechts“-Aussage des Sprechenden eine gänzlich andere, jetzt die Sprechenden selbst betreffende Bedeutung. Dieser Schwab´sche „Ermächtigungs“-Konter ist eine gute Argumentationsfigur, die sich bestimmt auf Demos und anderen Veranstaltungen in der Kommunikation von Widerständlern mit “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufern bewähren wird.

Die Erweiterung des Ermächtigungs-Konters

Angeregt durch Martin Schwabs „Ich sage nicht, ihr seid selbst rechtsextrem“, dabei natürlich wissend, dass das Unbewusste keine Negationen prozessieren kann, kann ich nach zwei Jahren etwas formulieren, was ich die ganze Zeit über nur eher diffus empfunden habe. Ich werde es im Folgenden als eine Erweiterung des Schwab´schen „Nazi-Ermächtigungs“-Reframings beschreiben.

Knock-Out durch „Du machst Dich mit Nazis gemein“

Oft habe ich beobachtet, leider auch bei mir selbst, dass Widerständler auf den in jeder Diskussion mit Tagesschau-Guckern zuverlässig erwartbaren „Ihr machst Euch mit Nazis gemein“-Anwurf mit erheblichen Sprach- und Denkstörungen reagieren. Ein (jetzt dann also leider für immer) ehemaliger Coaching-Klient4 hat mich mit diesem Spruch einmal nahezu sprachlos gemacht. Es gelang mir noch, wie wohl vielen in der Bewegung auch, einzuwenden, dass ja nur verschwindend wenige, vielleicht zehn auf tausend, Rechte oder Nazis auf den Demos mitlaufen würden, und dass diese Menschen ja auch das Recht hätten, ihren Protest gegen Masken, Maßnahmen und gentechnische Mordanschläge auf die Straße zu bringen. Diese beiden Einwände halfen aber nicht wirklich, mein Klient blieb dabei: „Trotzdem, mit Nazis zusammen darf man nicht demonstrieren“.

Mit dem Schwab´schen „Nazi-Ermächtigungs“-Konter, zusammen mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit für die “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer, des eigene Verhältnis zum Rechtsextremismus zu klären, wäre ich in dieser Diskussion wohl einen guten Schritt weitergekommen. Und auch mit der im Folgenden zu beschreibenden Erweiterung dieses Konters, auf die man wohl tatsächlich erst dann kommt, wenn man die Schwab´schen Gedanken der „Ermächtigung der Nazis“ durch die “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer und, daraus abgeleitet, der Notwendigkeit kennt, dass diese ihr Verhältnis zum Rechtsextremismus klären sollten.

Identifikation mit den Nazis-Aggressoren

Aufbauend auf dem „Nazi-Ermächtigungs“-Frame und dem Hinweis auf die Notwendigkeit, sein eigenes Verhältnis zum Rechtsextremismus zu klären, hätte ich meinem Coaching-Klienten von zwei Jahren zusätzlich diesen weiteren aus dem Schwab´schen Konter ableitbaren Gedanken anbieten können: Er solle doch bitte in diesem Klärungsprozess vor allem darüber nachdenken, inwieweit er den “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufern in einem derart überhöhten Ausmaß Macht zuschreibt oder zubilligt, dass der sich infolgedessen dann mit ihnen identifiziert. Schließlich würde ja zu so einer Art von „Identifikation mit dem Aggressor“ dazugehören, dass dieser als übermächtig wahrgenommenen wird. Gefühle von Unbehagen und Angst, die oft mit Konfrontationen mit den Rechten und Nazis verbunden sind, würden nicht gegen so eine vor dem eigenen Bewusstsein wohl eher verheimlichte „Identifikation mit dem Aggressor“, oder eben hier „Identifikation mit dem Nazi“, sprechen – man könnte sie als zu der Situation, als zu diesem Identifikationsphänomen dazugehörend ansehen.

Projektion des eigenen inneren Nazis

In der Sicht der “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer sind ja alle Demonstranten irgendwie Antisemiten und Nazis – zum einen wohl, weil sich bei ihnen unterschwellig das unsinnige Gerücht gehalten hat, die Verschwörungstheorien würden sich im Wesentlichen auf das jüdische Großkapital beziehen, und zum anderen aber auch wegen mancher (meist natürlich zutreffender) Heute-Damals-Vergleiche, wie z.B. der des Infektionsschutzgesetzes mit dem Ermächtigungsgesetz.

Diese Antisemiten- und Nazitum-Unterstellung ist natürlich vor allem das Resultat einer puren Projektion der oft, genau wie die Demonstranten, aus der Mitte der Gesellschaft stammenden “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer. Da sie nicht in der Lage sind, ihren (auch in den Reflektiertesten unter uns noch vorhandenen) inneren Nazi nicht wahrzunehmen und von daher dessen Existenz leugnen, meinen sie, ihn im Außen zu sehen: Die “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer projizieren ihren inneren Nazi nicht nur auf die mitlaufenden, von ihnen per „Identifikation mit dem Aggressor“ überhöht als gefährlich und übermächtig wahrgenommenen „Rechten und Nazis“, sondern auch auf die Demonstranten, die sich ja schließlich mit diesen „Rechten und Nazis“ “gemein“ machen, also ihr (von ihnen jeweils auf beide Gruppen projiziertes) gemeinsame Nazi-Sein dann natürlich auch mit ihnen gemeinsam zelebrieren würden. So gesehen könnte man die “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer als „Nazis in Disguise“5 bezeichnen: ihre Verkleidung ist so gut, dass sie an sich selbst vorbeilaufen, wenn nicht gerade jemand da ist, der sie sich selbst gegenüber vorstellt.

Da die Demonstranten, wie die Mehrheit der “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer eher der sogenannten bürgerlichen Mitte angehören, könnte man sagen, dass sie eigentlich „Schwestern und Brüder im Geiste“ sind. Deshalb funktioniert diese Projektion wohl auch so gut, nach dem Motto „Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge?“6 Allerdings handelt es sich vermutlich um einen eben nur „politisch korrekt“ denkenden, aber nach mehreren Generationen noch nicht wirklich „entnazifizierten“ und, vor allem aber, sich selbst täuschenden Geist, der mit seiner Bereitschaft zu Ausgrenzung und Selbstüberhöhung noch die eine oder andere faschistoide Grundgewohnheit7 tradiert.

Das Implizite explizit machen: Ebenen und Formen des Nazitums

Nicht nur der aggressive Unterton, der wohl mit der Identifikation und der Projektion einhergeht, verweist bei den “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufern auf eine nicht nur vor den Demonstranten, sondern wohl auch vor sich selbst verheimlichte Nazi-Affinität. Eine weitere Ergänzung des Schwab´schen Nazi-Ermächtigungskonters könnte ebenfalls auf eine solche verweisen, sogar in Form eines „waschechten“ inneren Rest-Nazitums der “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer.

Die bisherigen Erweiterungsschritte des Konters waren von die jeweils von

  • „Ihr (die Demonstranten) macht euch gemein mit den Rechten und Nazis“ über
  • „Wir (die Rechts-Rechts-Nazi-Nazi-Rufer) übertragen Macht auf die Rechten und Nazis. Wir statten sie mit großer Macht aus, wir ermächtigen sie“, und
  • „Wir (die Rechts-Rechts-Nazi-Nazi-Rufer) identifizieren uns mit den von uns, sie dabei überhöhend, als sehr mächtig wahrgenommen Rechten und Nazis“ auf
  • „Wir (die Rechts-Rechts-Nazi-Nazi-Rufer) projizieren unsere sich über Generationen in uns erhalten habenden Restbestände des Nazi-Seins auf euch, die Demonstranten.“

Reframings, als Erkenntnisprozesse, können grenzenlos weitergeführt werden. Jedes Reframing kann dann fortgesetzt werden, wenn weitere Aspekte ausgemacht und in den Vordergrund der Beschreibung der Gesamtsituation gehoben werden können, welche dann dem ursprünglich Sprechenden als neues Formulierungsangebot präsentiert werden können.

Von „rechtsextrem“ zu „recht extrem“

„Ich sage nicht, ihr seid selbst rechtsextrem“, sagte Martin Schwab in Bezug auf die “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Argumentation der taz. Nachdem ich das hörte, ging mir die Frage durch den Kopf: Was wenn, wie man das von „Nicht“-Formulierungen generell kennt, über die man länger nachdenkt, dieses „Ich sage nicht“ eigentlich ausdrückt: „Ganz klar, natürlich seid ihr rechtsextrem!“ Und welche der in der schon vorhandenen Beschreibung der Gesamtsituation mitgedachten und implizit mitgesagten Aspekte könnten es dann sein, die, würden sie explizit gemacht, deutlich machen, dass die “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer auf den Demos und auch in den Redaktionen der Mainstream-Presse natürlich in dem Sinne „rechtsextrem“ sind, dass sie recht extrem in ihrem faschistoiden oder nazioiden Denken und Argumentieren sind, sie also – schon, noch oder schon wieder – in einem Grundmodus des Nazi-Seins leben, zu dem

  • (1) die vernichtenden Impulse zur Ausgrenzung von anderen Menschen der jeweils gesellschaftlich als Sündenböcke angebotenen Minderheitengruppe und
  • (2) eine herrenmenschenähnliche Selbstaufwertung in Bezug auf diese von ihnen abwertend stigmatisierten anderen Menschen dazugehören, sowie eine
  • (3) Definition dieser Gruppe von Mitmenschen als unwert, im Anfang z.B. mit ihnen in Kontakt zu gehen und als Mensch von und mit ihnen als Menschen zu lernen, und dann – wenn es schlimmer wird – mit ihnen auch nur irgendwie umzugehen, außer sie dann, von mehr als von politischen Veranstaltungen und Demos, auszugrenzen, zu deportieren, ghettoisieren und letztlich gänzlich zu eliminieren.

Wenn „Ihr seid rechtsextrem!“ tatsächlich zutrifft, welches könnten dann die impliziten Aspekte sein, die darauf verweisen? Implizite Aspekte gibt es, die expliziert werden können:

  • Die “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer sagen ja im Wesentlichen, „An einem politischen Gemeinschaftsereignis teilzunehmen, wo auch einige Rechte und Nazis teilnehmen (dürfen), ist verwerflich!“
  • Diese moralische Vorgabe impliziert, dass die “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer ein vorhandenes Kontaktvermeidungsgebot akzeptieren, und dass dieses durch die Demonstranten dadurch umgesetzt werden sollte, dass sie weggehen von ihrer eigenen Veranstaltung oder prophylaktisch gar nicht erst hingehen, denn es könnten ja Rechte und Nazis kommen.
  • Diese Aufforderung impliziert auch, dass die als „Rechte und Nazis“ bezeichneten und stigmatisierten Menschen nicht da sein dürften oder sollten, wo die Mehrheit der in dieser Gesellschaft lebenden Demo-Teilnehmer ihr Versammlungsrecht und ihr Menschenrecht lebt, sich in einer Gemeinschaft kreativ und lebendig zu artikulieren.
  • Die “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer wissen, dass es eine solche politische Veranstaltung oder Demo ohne diese Mehrheit der Demonstranten nicht geben würde, d.h. dass sich diese, als das Demo-Volk, nicht von den „Rechten und Nazis“ in ihnen entfernen kann, ohne mit einem solchen Schritt nicht die Demo, und damit auch sich selbst, abzuschaffen.
  • Die “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer gehen also letztlich von der von ihnen als gegebenen anerkannten Notwendigkeit aus, diese Minderheit aus dem Demo-Volk auszuschließen und zu entfernen, dass also die als „Rechte und Nazis“ bezeichneten Menschen ausgegrenzt und eliminiert werden müssen.

Das alles allerdings können die “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer natürlich nur denken, aber nicht laut sagen. Und da sie auch nicht laut sagen können, dass sie auch die Demonstranten unterschwellig (a) auch für Nazis, da Antisemiten, halten, die (b), im Gegensatz wohl zu der Mehrzahl von ihnen, darüber hinaus auch noch „gentechnisch unbehandelte Gefährder“ sind, können sie nur wieder, wie Schwab es zu Recht nannte, ihr „Pseudoargument“ in Form des redundanten „Ihr macht euch mit Rechten und Nazis gemein“ wiederholen.

Diese Redundanz könnten die “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer vielleicht vermeiden, wenn sie auf die Diskussionsebene gehen würden, den Veranstaltungsbesuchern und Demonstranten vorzuwerfen, dass sie überhaupt dort teilnehmen. Diese Ebene meiden die meisten “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer vermutlich, gehen sie dann doch das Risiko ein, in einer dadurch eröffneten inhaltlichen Diskussion zu scheitern.

Was natürlich heißt, das Pseudoargument „Sich gemein machen mit Nazis“ hat, als Psycho-Symptom der “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer betrachtet, eine für sie positive Funktion, einen waschechten sekundären Gewinn: Es schützt sie vor der Peinlichkeit, als uninformierte und fremdbetreut denkende Dummies dazustehen.

Die Gegenwart des Nazitums

Die “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer sagen ja im Wesentlichen, man dürfe oder sollte nicht auf einer Demonstration mitgehen, bei der man gezwungen ist, den auf der Straße und dem Bürgersteig8 vorhandenen Platz mit „Rechte und Nazis“ genannten Menschen zu teilen. Vermittelt durch das vollständige Fehlen von Angaben über einen ihrer Meinung nach auf Demos tolerierbare Prozentanteile von „Rechten und Nazis“, machen sie deutlich, dass sie der Meinung sind, dass dieser moralische Imperativ auch dann zu gelten hat, wenn auf einer Demo vielleicht nur ein Prozent oder weniger „Rechte oder Nazis“ anwesend sind – was im Schnitt vielleicht ihrem tatsächlicher Anteil an den großen Demos der letzten zwei Jahre entspricht.

Solche Aussagen der “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer implizieren, dass die Demonstranten zu den Menschen, die sie der Gruppe „Rechte und Nazis“ zuordnen, zwingend ein so großer Abstand eingehalten werden muss, wie er eigentlich nur im Falle von deren Quarantänisierung oder Ghettoisierung möglich ist. Damit implizieren sie auch, dass sie von der faktisch bestehenden Tatsache einer Notwendigkeit ausgehen, dass diese Menschen aus der Demo radikal ausgegrenzt werden müssen, als letztlich quarantänisiert oder ghettoisiert. Die „Rechten und Nazis“ genannten Menschen müssen also, was sich folgerichtig aus dem „Sich-Gemeinmachen mit Rechten und Nazis“-Anwurf der “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer explizieren lässt, ebenso am Umgang mit den „Nicht-Rechten und Nicht-Nazis“, sprich der Mehrheit der „Anti Maßnahmen und Genspritzen“-Demonstranten, gehindert werden, wie umgekehrt die Demonstranten von den “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufern in Bezug auf die „Rechte und Nazis“ genannten Mitmenschen ein Kontaktverbot auferlegt bekommen, sich von ihnen fernzuhalten, als wären sie Aussätzige oder Überbringer von Ungeziefer und selbst auch Ungeziefer, wie damals „die Juden“ für „die Nazi-Deutschen“. Heute würde die Mehrheit der „Tageschau-Gucker“, wie man die “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer ja auch nennen könnte, wohl den Begriff „Virenschleudern“ bevorzugen – im Sinne von „Virenschleudern, da ungespritzt“ und „Verbreiter rechtsextremer Gedanken-Viren“.

Die “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer gehen also von der als Fakt gegebenen und umzusetzenden Notwendigkeit aus, dass die Minderheit der „Rechte und Nazis“ genannten Menschen nach außerhalb der Grenzen des Demo-Volkes zu verbracht, also eliminiert werden müssen.

Explizierbarer Aspekt im Begriff „Nazi“

Die Verwendung des Wortes „Nazi“ in „ihr macht euch gemein mit den ‚Rechten und Nazis‘“ impliziert, dass den “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufern der Unterschied prinzipiell klar ist zwischen „den Nazis“ in Nazi-Deutschland vor 80 Jahren und den Menschen, die man heute „Rechte und Nazis“ nennt.

Das bedeutet, es ist den “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer auch klar, dass die von ihnen als Notwendigkeit erlebte Eliminierung der „Rechten und Nazis“ aus dem Körper des Demo-Volkes heutzutage nicht direkt umsetzbar ist, dass also diese Ausgrenzung der „Rechte und Nazis“ genannten Menschen nur indirekt umgesetzt werden kann: letztlich nur dadurch, dass die Demoteilnehmer gänzlich auf ihr Recht zu demonstrieren verzichten. An diesem von ihnen auf diese indirekte Weise geforderten Verzicht der Demonstranten auf ihr Bürgerrecht der Versammlungsfreiheit, lässt sich die zwischen den Zeilen deutlich werdende Zielsetzung der “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer erkennen, die „Rechten und Nazis“ genannten Menschen auszugrenzen, zu quarantänisieren und zu ghettoisieren. Aber: Nur dadurch, dass die Demonstranten selbst ihre eigene Demo verlassen und nach Hause gehen, lassen sich die Rechten und Nazis eliminieren.

Fundamentaler Denkfehler auf beiden Seiten

Der Gedanke zu versuchen, sich auf der eigenen Demo dadurch politisch korrekt zu verhalten, dass man diese Demo nicht macht, lässt sich nicht wirklich zu Ende denken. Er enthält einen fundamentalen Denkfehler, eine waschechte Paradoxie: Wenn die Demonstranten nicht auf ihre eigene Demo gehen, gibt es keine Demo, auf der sie sich korrekt verhalten könnten. Selbst wenn die Demonstranten diesem Aufruf, auf ihre eigene Demo zu verzichten, folgen wollen würden: Ihre Demo lässt sich ja nicht in eine „Ghetto“-Demo der ausgegrenzten Minderheit der “Rechte und Nazis“ genannten Menschen verwandeln, da diese Menschen quasi nur als Demo-Mitläufer existieren und auch nur als solche denkbar sind: Die Minderheit der „Rechte und Nazis“ genannten Menschengruppe wäre in keinem Fall in der Lage, eine eigenständige Demo anzumelden, zu organisieren und durchzuführen. Das wissen die “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer, wissen sie doch, vermittelt über den von ihnen verwendeten Begriff „Nazis“, dass wir alle in 2022 und nicht etwa in 1942 leben: Sie „Nazis“ zu nennen impliziert das Wissen dieses historischen Unterschiedes als ein vorhandenes – und damit auch das Wissen, dass ohne die Teilnahme einer Riesen-Demonstranten-Menge aus der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft „Rechte und Nazis“ genannten Menschen ihr Demonstrationsrecht gar nicht wahrnehmen könnten. Demos von „Rechten und Nazis“ wären gar nicht denkbar: Falls es ihnen gelingen würde, eine Demo anzumelden, wäre diese nicht überlebensfähig. Das in dieser Hinsicht intakte, aus Behörden, Polizei und Denunzianten bestehende gesellschaftliche Immunsystem würde sie in Handumdrehen auflösen und makrophagisch verdauen.

Die Forderung an die Demonstranten, eine Demo von zehntausenden Demonstranten, alle Bürger aus der Mitte der Gesellschaft, zu verlassen, weil man vielleicht davon ausgehen muss, dass hundert Menschen mit demonstrieren, die „Rechte und Nazis“ genannt werden, enthält die Paradoxie: „Mache eine Demo, indem Du sie nicht machst“.

Diese Paradoxie wäre nur dann auflösbar, wenn Demonstranten und “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer darüber sprechen würden, dass durch die in den Gehirnen beider Seiten mittlerweile entstandene Knoten ein inhaltlicher Austausch darüber verhindert wird, inwiefern natürlich die Anliegen ALLER auf der Demo anwesenden Demonstranten berechtigte Anliegen sind. Solange dieses Gespräch vermieden wird bzw. aufgrund des Paradoxie-Nebels nicht stattfinden kann, kann man sich als maßnahmen- und genspritzenkritischer Demonstrant auf der einer entsprechenden Demo nur korrekt dann verhalten, wenn man nicht auf diese Demo geht: Hurra, wie machen eine Demo, indem wir sie nicht machen!

Unbewusste Glaubensgemeinschaft der Konfliktpartner „Demonstranten“ und “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer

Diejenigen Demoteilnehmer, die dem “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Pseudoargument ausschließlich mit dem Hinweis begegnen, dass es doch nur so wenige Rechte und Nazis auf den Demos gibt, teilen dadurch mit diesen ihren Konfliktpartnern ungute Glaubenssätze, wie etwa „die wenigen ‚Rechten und Nazis‘ auf der Demo sind gefährlich, vermutlich ansteckend“ und „wir in der Mitte der Gesellschaft haben keinen mentalen Immunschutz gegen die Gedanken-Viren und die Keime des Bösen, welche die „Rechten und Nazis“ verbreiten“. Diese Glaubenssätze führen zu einem faschistoiden Dünkel, der, würden die “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer ihn aussprechen, vielleicht zu der knappen Ansage führen würde: „Mit solchen, wie die, redet man nicht!“

Zumindest behandeln beide, die Demonstranten und die “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer die „Rechte und Nazis“ genannten Menschen eher wie Aussätzige, wie Unberührbare, von denen man sich besser, so weit wie irgend möglich fernhält. Vor allem auch deshalb, weil die berechtigte Befürchtung hinzukommt: Wenn man mit den “Rechten und Nazis“ gesehen wird oder gar mit ihnen spricht, schnappt die Falle „Kontaktschuld“ und „Sippenhaft“ zu.

Wenn also die demonstrierenden Widerständler, die das bestehende und als politisch korrekt eingehaltene Kontaktvermeidungsgebot mit den „Rechten und Nazis“ genannten Menschen dadurch akzeptieren, dass sie dessen faschistoide und nazioide Qualität nicht kommentieren, sondern ausschließlich auf deren geringe Anzahl auf den Demos hinweisen, teilen sie mit ihren “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Kritikern die Wahrnehmung, pointiert formuliert als Glaubenssatz: „Rechte und Nazis“ sind nicht wirklich Menschen, deshalb lässt „man“ sich auf einen Kontakt mit ihnen nicht ein. Es sind ansteckende Träger des Nazi-Virus, Aliens, Kreaturen, Wesen oder Wesenheiten. Was auch immer sie für die “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer sind, die „Rechte und Nazis“ genannten Menschen gehören nicht zu unser menschlichen Gemeinschaft, in der Menschen von und mit anderen Menschen im direkten Kontakt lernen und sich entwickeln. Und auch gilt dann wohl: Was immer die „Rechten und Nazis“ für uns sind, die Widerständler und Demonstranten, die wir auch einem Kontakt mit den „Rechte und Nazis“ genannten Menschen eher aus dem Weg gehen: auch wir haben uns wohl noch nicht gänzlich von den bis in die Tiefe unserer Seele reichenden Resten tradierter Nazi-Denk-, Wahrnehmungs- und Empfindungsstrukturen befreit.

Die “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer verhalten sich, wie die Nazi-Deutschen damals den Juden gegenüber – natürlich nicht wie im fortgeschrittenen Holocaust (um einer Vorhaltung vorzubeugen, diese Analogie würde die Nazi-Gräueltaten verharmlosen), sondern wie am Anfang ihrer maligner gesellschaftlichen Abwertung, Ächtung und Ausgrenzung.

Die strukturelle Ähnlichkeit ist: Wie „die Juden“ für die damaligen Nazis, für alle erkennbar schon in den Jahren 1933 und danach, sind die „Rechten und Nazis“ genannten Menschen für die heutigen “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“ rufenden Nazioiden auch minderwertige Menschen – insofern, als dass sie für einen menschlichen Kontakt und Austausch nicht in Frage kommen. Das bedeutet, die “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer sind rechtsextrem, im Sinne von: sie agieren recht extrem ausgrenzend.

Sie können sich in dem Mindset ihres „Kammerjäger-Ansatz“, die Rechten und Nazis genannten Menschen durch eine Art von „Trockenlegung der Demos“ zu vertreiben, quarantänisieren, ghettoisieren und was auch immer noch mehr, nicht vorstellen, sich als Menschen menschlich auf sie zu beziehen: lernend und das Leben zelebrierend. Das scheint für sie eine Vorstellung zu sein, die für sie in der Tiefe ihrer Seele als ebenso abwegig und hinter jedem Denkhorizont liegend erlebt wird, wie es für die damaligen deutschen Nazis gänzlich undenkbar war, sich als Menschen auf „die Juden“ als Menschen zu beziehen, sich gegenseitig achtend und voneinander lernend.

Geht eine neue Ausrichtung?

Dabei ist doch die Vorstellung naheliegend, mit den versprengten, aus der damaligen in die heutige Zeit gefallenen „Rechten und Nazis“ so ins Gespräch zu kommen, dass vielleicht einige von ihnen ihre meist dümmlichen, weil uninformierten Nazi-Gedanken angemessen updaten und oder gar ablegen könnten. Und das vielleicht auch einfach deshalb, weil sie das Glück haben, für einige Momente in die ihnen vielleicht vorher nicht bekannte, locker-freundliche Atmosphäre einer Freundes- oder Familiengruppe von Demonstranten einzutauchen und mit denen zwei, drei gegenseitig freundliche Sätze zu wechseln. Theoretisch (!) zumindest ist es ja denkbar, dass deren Gesprächsinhalte und, vor allem, deren emotionaler Umgang miteinander, auch wenn der Kontakt kurz ist, „nachsozialisierend“ auf die geistig und emotional vielleicht aufgrund ihrer Stigmatisierung als „Rechte und Nazis“ insgesamt etwas unreif gebliebenen Menschen wirkt.

So etwas soll ja in glücklichen Einzelfällen schon vorgekommen sein, etwa wo sich Leute, vielleicht aus der Nachbarschaft, entfernt kennen und dann auf einer Demo ins Gespräch kommen und dabei merken, dass sie von ihren starren Feindbildern ablassen und in einen direkten Kontakt und Austausch gehen können.

Mögen wir alle, die kleinen und die großen Nazis in uns, mögen wir alle, die „Rechten und Nazis“ genannten auf den Demos mitgehenden Menschen, die hier in dieser Abhandlung “Rechts-Rechts-Nazi-Nazi“-Rufer genannten Menschen und wir, die Widerständler genannten Menschen, die wir ab und an auch über den kleinen in uns verbliebenen Rest-Nazi staunen, mögen wir alle uns weiterhin Mühe geben, Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit immer wieder neu zu lernen. Und ich sage jetzt nicht zu euch: Amen.

  1. 04.06.2022: veröffentlicht; 07.06.2022: Rechtschreibfehler korrigiert.
  2. Siehe dazu die Kritik von Grünen an den „Spaziergängen“: „Mit dabei sind Politiker:innen aus dem rechten Spektrum und deren willige Gefolgsleute. Es sollte allen „Spaziergänger:innen“ klar sein, dass ihre eventuell sogar berechtigte und sinnvolle Kritik an den Corona-Maßnahmen somit in Gemeinschaft mit Rechten erfolgt. Wollen Sie das wirklich?“
  3. Reframing ist ein aus der hypno- und systemischen Psychotherapie stammendes und dann durch das NLP bekannt gewordene Vorgehen, mit dessen Hilfe eine beim Klienten vorhandene, Leiden schaffende Strategie der Bedeutungsgebung in eine angemessenere, eher Ressourcen zugänglich machende transformiert werden kann. Im Politischen wird das Reframing und das Preframing auch für die Manipulation verwendet, aber weniger für eine zum Wohle des Adressaten des Re-, Pre- und Framings, sondern eher zum Wohle derer, die dieses Vorgehen anwenden oder in Auftrag geben.
  4. Er legte mir nahe, das Verschwörungtheorien-Buch des Mainstreamers Michael Butter zu lesen. Was ich tat, als Anfang. Bei meinen dann folgenden Recherchen wollte und konnte er mir nicht folgen.
  5. Angeregt durch den Titel des Songs „Devil in Disguise“.
  6. Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Vom_Splitter_und_vom_Balken.
  7. An anderer Stelle benutzte ich den Begriff „basisfaschistisch“. Siehe dazu meinen Artikel „Warum eine basisdemokratische Partei das Wort ‚basisfaschistisch‘ braucht“. Weitere Artikel und Dokumentationen zum „basisfaschistischen Sündenfall“ im dieBasis-Landesverband Hamburg finden sich hier.
  8. Als ich eben „Straße und Bürgersteig“ schrieb, dachte ich an die Geschichte, die Sigmund Freud von seinem Vater erzählt bekam. Freud schreibt im Kapitel 5 von „Die Traumdeutung“: „Und nun stoße ich erst auf das Jugenderlebnis, das in all diesen Empfindungen und Träumen noch heute seine Macht äußert. Ich mochte zehn oder zwölf Jahre gewesen sein, als mein Vater begann, mich auf seine Spaziergänge mitzunehmen und mir in Gesprächen seine Ansichten über die Dinge dieser Welt zu eröffnen. So erzählte er mir einmal, um mir zu zeigen, in wieviel bessere Zeiten ich gekommen sei als er: Als ich ein junger Mensch war, bin ich in deinem Geburtsort am Samstag in der Straße spazierengegangen, schön gekleidet, mit einer neuen Pelzmütze auf dem Kopf. Da kommt ein Christ daher, haut mir mit einem Schlag die Mütze in den Kot und ruft dabei: Jud, herunter vom Trottoir! »Und was hast du getan?« Ich bin auf den Fahrweg gegangen und habe die Mütze aufgehoben, war die gelassene Antwort. Das schien mir nicht heldenhaft von dem großen starken Mann, der mich Kleinen an der Hand führte. Ich stellte dieser Situation, die mich nicht befriedigte, eine andere gegenüber, die meinem Empfinden besser entsprach, die Szene, in welcher Hannibals Vater, Hamilkar Barkas, seinen Knaben vor dem Hausaltar schwören läßt, an den Römern Rache zu nehmen. Seitdem hatte Hannibal einen Platz in meinen Phantasien.“